KINO KADDISH

Filmriss und Widerhall aus dem Osten

Eine Serie filmischer Interventionen, Wiederbelebungen und ortsspezifischer Versammlungen — ein Versuch, das Kino zurück in jene Räume zu bringen, in denen Erinnerung zum Ereignis werden kann.

Über das Projekt

Wie erinnern wir, wenn die Orte selbst schweigen? Wenn Geschichte in Ruinen flackert, in beschädigten Zelluloidstreifen, in Stimmen, die niemand mehr erkennt?


Kino Kaddish ist eine Serie filmischer Interventionen, Wiederbelebungen und ortsspezifischer Versammlungen — ein Versuch, das Kino zurück in jene Räume zu bringen, in denen Erinnerung zum Ereignis werden kann, und es als rituellen Raum zu begreifen, in dem Bilder nicht nur gesehen, sondern beschworen und wiedererlebt werden. Besonderes Augenmerk gilt dabei einer filmhistorischen Rückschau auf Werke, die vielen jungen Menschen heute kaum noch zugänglich sind — etwa weil es sich um frühe, oft stumme Filme handelt oder weil sie aus dem osteuropäischen und slawischen Kontext stammen.


Geplant ist eine kuratierte Reihe ortsspezifischer Filmvorführungen bei denen ausgewählte Werke des jüdischen, osteuropäischen und experimentellen Kinos an historisch wie symbolisch aufgeladenen Orten neu kontextualisiert werden.


Im Rahmen von Kino Kaddish sind Filmvorführungen an symbolisch aufgeladenen Orten in Berlin geplant, darunter Institutionen wie das Jüdische Museum, das Deutsch-Russische Museum Karlshorst, das silent green Kulturquartier oder das Centrum Judaicum.


Alle Veranstaltungen werden durch eine begleitende Website unter info@kaddish-kino.org dokumentiert. Dort werden sowohl kuratorische Überlegungen zur Auswahl und Kontextualisierung der Filme als auch Reflexionen und Eindrücke aus dem Publikum festgehalten.


Die Veranstaltungen stehen dabei insbesondere den Stipendiat*innen des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks (ELES) offen, aus dessen Kontext die Antragstellung erfolgt. Darüber hinaus richten sie sich an ein breiteres Berliner Publikum — insbesondere an Menschen mit jüdischem Hintergrund oder Interesse an jüdischer Kultur im Spannungsfeld von vergessenem osteuropäischem Kino und zeitgenössischer Erinnerungspraxis.

Komm und sieh (Come and See)

Komm und sieh (1985)

Directed by Elem Klimow

Eine der eindrücklichsten filmischen Auseinandersetzungen mit der Shoah und dem Krieg im osteuropäischen Raum. In Kooperation mit einer Gedenkstätte wie Sachsenhausen soll der Film aufgeführt werden, eingeleitet von einem kuratorischen Vortrag, der die Entstehungsgeschichte des Films sowie seine filmhistorische und erinnerungskulturelle Bedeutung für das Publikum kontextualisiert.

Der Golem

Der Golem (1920)

Directed by Paul Wegener

Der expressionistische Stummfilmklassiker Der Golem – wie er in die Welt kam zählt zu den bedeutendsten Werken des frühen jüdisch geprägten Kinos in Deutschland. Der Film verarbeitet den Golem-Mythos aus dem Prager Ghetto zu einer düsteren Legende über Macht, Projektion und Bedrohung. Im Rahmen von Kino Kaddish planen wir eine Sondervorführung dieses Films in einer Berliner Synagoge – ein Vorhaben, das sich aktuell in Vorbereitung befindet. Für die Veranstaltung ist eine Live-Vertonung mit elektro-akustischen Mitteln angedacht, inspiriert von der Tradition zahlreicher Musiker*innen, die dem Film in den letzten Jahrzehnten durch neu komponierte Soundtracks neue Dimensionen verliehen haben. Dabei geht es nicht um eine bloße Untermalung, sondern um eine klangliche Auseinandersetzung mit der psychologischen, rituellen und mythischen Tiefe des Films. Die Aufführung in einem aktiven sakralen Raum soll den Golem-Mythos nicht nur filmisch, sondern auch atmosphärisch aktualisieren und in einem zeitgenössischen erinnerungskulturellen Kontext erfahrbar machen.

Sanatorium zur Sanduhr (Sanatorium pod Klepsydrą)

Sanatorium pod Klepsydrą (1973)

Directed by Wojciech Jerzy Has

Basierend auf den Erzählungen von Bruno Schulz entfaltet der Film ein visuell überwältigendes, traumlogisches Erinnerungsuniversum, in dem jüdische Kindheit, familiäre Fragmente und untergehende Welten ineinanderfließen. Ohne die Shoah direkt zu thematisieren, ist der Film durchdrungen von ihrer Abwesenheit — von dem Wissen, dass die poetisch aufgeladene jüdische Welt Galiziens, die Schulz literarisch festhielt, wenige Jahre später ausgelöscht wurde. Has übersetzt diese Leerstelle in eine überbordende filmische Sprache aus Zerfall, Wiederkehr und zeitlicher Desorientierung: Der Protagonist Józef wandert durch fragile Bildräume, in denen Geschichte, Traum und Tod ununterscheidbar werden. Sanatorium pod Klepsydrą ist ein elegisches Echo auf das Verschwinden — ein filmischer Ort des Schmerzes, der Verwandlung und des nicht enden wollenden Wartens.

Die Kommissarin (Комиссар)

Die Kommissarin (1967)

Directed by Alexander Askoldov

Basiert auf der Erzählung "In der Stadt Berditschew" von Wassili Grossman. Vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs in einer Provinzstadt kreuzen sich die Schicksale einer Kommissarin und einer jüdischen Familie, die sie bei sich aufnimmt. Diese erzwungene Episode eines friedlichen Lebens wird zu einer subtilen und ergreifenden Reflexion über das Aufeinandertreffen von Persönlichem und Historischem, über Mutterschaft, Verletzlichkeit und die Zerbrechlichkeit der menschlichen Existenz. Fast unmittelbar nach der Fertigstellung wurde der Film verboten und für zwei Jahrzehnte auf Eis gelegt. Askoldow erhielt nie wieder die Gelegenheit, einen abendfüllenden Film zu drehen. Erst in den späten 1980er Jahren erblickte der Film das Licht der Welt — als späte Anerkennung der Bedeutung eines verlorenen Geschichtsbildes, in dem kollektives Gedächtnis und privater Schmerz in einem Atemzug genannt werden.

Die Passagierin (Pasażerka)

Die Passagierin (1963)

Directed by Andrzej Munk

Der Film, der zu Lebzeiten Munks unvollendet blieb, ist nicht nur eine tragische Geschichte, sondern auch eine Reflexion über das Wesen der Erinnerung, ihre Fragmentierung und die unvermeidlichen Lücken. Er spielt an Bord eines Ozeandampfers, wo Lisa, eine ehemalige KZ-Aufseherin, zufällig eine Frau trifft, die sie an Martha, eine ehemalige Auschwitz-Gefangene, erinnert. Diese Begegnung löst eine Flut von Erinnerungen aus, bei der die Grenzen zwischen Realität, Ausreden und verdrängten Ängsten ins Wanken geraten. Die Erzählung bewegt sich zwischen Gegenwart und Lagervergangenheit, zwischen dem, was war, und dem, wie es in Schuld, Ausreden und Verdrängungen festgehalten wird. Munchs Film verweigert sich einer geradlinigen Verurteilung oder einem Dialektismus. Stattdessen konstruiert er eine komplexe Architektur der Erinnerung, in der das Bild selbst so fragmentarisch wird wie die menschliche Erinnerung.

Die weite Reise (Daleká cesta)

Daleká cesta (1949)

Directed by Alfred Radok

Einer der ersten Spielfilme, die sich direkt mit dem Holocaust befassten. Regisseur Alfred Radok, der die Verfolgung selbst überlebt hatte, schuf einen Film, in dem sich persönliche Geschichte mit dokumentarischem Material vermischt und die Tragödie der tschechischen Juden während der Nazi-Besetzung widerspiegelt. Die Protagonistin Hana Kaufmanová, eine jüdische Ärztin aus Prag, sieht sich mit zunehmendem Antisemitismus konfrontiert: Sie wird entlassen, in ihren Rechten eingeschränkt und schließlich nach Theresienstadt deportiert. Radok bedient sich innovativer Techniken und kombiniert Fiktion mit Wochenschauen, darunter Aufnahmen aus der Nazi-Propaganda sowie tatsächliche KZ-Aufnahmen. Diese Technik verstärkt den Effekt der Präsenz und unterstreicht den Kontrast zwischen den persönlichen Erfahrungen der Figuren und dem Ausmaß der historischen Katastrophe. Der Film entstand nur wenige Jahre nach Kriegsende, wurde in der Tschechoslowakei zunächst zensiert und anschließend für viele Jahre verboten. Erst 1991 wurde er einem breiteren Publikum zugänglich gemacht.

Kaddish

Kaddish (2019)

Directed by Konstantin Fam

Ein eindringlicher Kurzfilmzyklus über Generationen nach der Shoah. Durch die bewusste Verbindung von Film, Raum und kuratorischer Kontextualisierung soll ein dialogischer Erinnerungsraum entstehen, der sowohl historische Reflexion als auch zeitgenössische Perspektiven ermöglicht. Die Veranstaltungen stehen dabei insbesondere den Stipendiat*innen des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks (ELES) offen, aus dessen Kontext die Antragstellung erfolgt. Darüber hinaus richten sie sich an ein breiteres Berliner Publikum — insbesondere an Menschen mit jüdischem Hintergrund oder Interesse an jüdischer Kultur im Spannungsfeld von vergessenem osteuropäischem Kino und zeitgenössischer Erinnerungspraxis.

Kontakt

Für weitere Informationen und Veranstaltungstermine kontaktieren Sie uns bitte unter info@kaddish-kino.org.